Er kommt nicht sofort, sondern schleichend. Nach dem Training fühlt man sich noch gut. Doch das Gefühl ist trügerisch. Im Körperinneren laufen zu diesem Zeitpunkt längst Prozesse ab, die einen am nächsten Morgen und auch in den darauffolgenden Tagen noch einmal an die längst abgehakte Trainingseinheit erinnern. Es kann Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen treffen, der Muskelkater. Doch kann man Muskelkater vermeiden?
Die Milchsäure-Theorie hält sich hartnäckig
Einen Muskelkater, also Muskelschmerzen nach ungewohnter Belastung, hat wohl jeder schon einmal in seinem Leben gehabt. Selbst Nichtsportlern dürfte dieses Gefühl nicht unbekannt sein. Besonders nachgebende (exzentrische) Muskelarbeit, wie sie beim Bergablaufen oder beim Herablassen eines Gewichts auftritt, und längere Trainingspausen können einen Muskelkater provozieren. Die früher weit verbreitete Milchsäure- bzw. Laktathypothese, die als Ursache eines Muskelkaters die Ansammlung von Laktat in der Muskulatur vermutete, gilt heute als überholt. Dagegen spricht vor allem, dass ein Muskelkater meist erst deutlich zeitversetzt zur Belastung auftritt.
Doch warum galt Laktat lange als Auslöser?
Laktat, das ist erst einmal nur ein Begriff, mit dem kaum jemand etwas anfangen kann. Darum machen wir an dieser Stelle einen kleinen Ausflug in den Energiestoffwechsel. Damit Kohlenhydrate bei Muskelarbeit zur Energiegewinnung abgebaut werden können, benötigen sie Sauerstoff.
Energiestoffwechsel – ein kleiner Exkurs
Bei der ersten Phase dieser sogenannten Glykolyse entstehen zunächst aus einem Teil Glukose (Zucker) zwei Teile Pyruvat. Ein komplexer Prozess, der dennoch blitzschnell abläuft. Er erreicht seine Grenze dann, wenn die Intensität der Muskelarbeit einen Punkt erreicht, an dem nicht mehr ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht. Also spätestens dann, wenn beim Training die Schnappatmung einsetzt und sich die Gesichtsfarbe kontinuierlich ins Rote verändert. An dem Punkt stellt der Körper zur Energiegewinnung auf den sogenannten anaeroben Stoffwechsel um, da die Sauerstoffzufuhr nicht mehr ausreicht. Jetzt wird der Zucker in Milchsäure umgewandelt. Ein Prozess, bei dem sehr viel Energie zügig zur Verfügung steht. Allerdings fällt dabei als Abbauprodukt das Laktat an.
Anstieg des Laktatspiegels – nur eine Momentaufnahme?
Während man die Leistung knapp unterhalb dieses Übergangs vom aeroben zum anaeroben Stoffwechsel noch über längere Zeiträume aufrechterhalten kann, Top-Marathonläufer absolvieren da ihren kompletten Wettkampf, geht es oberhalb rasch dem Ende entgegen. Die Laktatproduktion steigt sprunghaft an, weil das Salz nicht mehr schnell genug abgebaut werden kann und sich dadurch in der Muskulatur anreichert. Die übersäuert schließlich und „brennt“, wie man in der Praxis sagt.
Es ist genau das, was beim typischen Aufbautraining angestrebt wird. Das findet tatsächlich immer oberhalb der anaeroben Schwelle statt. Daher besteht ein solches Training auch nur aus einzelnen kurzen Einheiten, den Sätzen. Da dieses Phänomen so spürbar auftritt und letztendlich den Abbruch des Trainings oder zumindest eine Pause erzwingt, hat man lange Zeit geglaubt, dies sei auch die Ursache für einen Muskelkater. Doch weit gefehlt.
Heute weiß man, dass der Laktatspiegel nur eine Momentaufnahme ist. Denn er erreicht seinen Höhepunkt zum Zeitpunkt der höchsten Intensität. Beim Cool down sinkt er bereits wieder.
Muskelkater vermeiden: Sind winzige Verletzungen in der Muskelfaser schuld?
Tatsächlich ist das Auftreten mikroskopisch kleiner Verletzungen in den Muskelfasern verantwortlich für das unangenehme Gefühl. Schmerzhafter als diese mikroskopisch kleinen Risse, läuft allerdings die Entzündungsreaktion ab, die der Organismus daraufhin zur Heilung einleitet. Die hat nämlich zur Folge, dass Flüssigkeit in die Fasern gelangt und dort zu Schwellungen und Muskelverhärtungen führt. Das wiederum reizt das umliegende Nervengewebe. Und ebendiese Reizung nehmen wir als Muskelkater wahr. Dieser Prozess erklärt auch, warum es eine Weile dauert, bis sich nach dem Training oder einer Bergwanderung, die Muskelschmerzen einsetzen. Sie werden dann sogar erst einmal schlimmer, bevor das unangenehme Gefühl wieder nachlässt.
Trainingsanfänger sind häufiger von Muskelkater betroffen
Tatsächlich sind Anfänger, aber mehr noch Wiedereinsteiger häufig von diesem Phänomen betroffen, wenn sie es gleich bei den ersten Trainingseinheiten übertreiben. Denn während Anfänger sich völlig zu Recht noch etwas zurückhalten, legen Wiedereinsteiger gerne sofort „richtig“ los. Doch ein kräftiger Muskelkater ist auch bei Fortgeschrittenen und selbst Hochleistungssportlern keine Seltenheit. Die lassen sich aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung davon nur weniger beeindrucken. Denn, so tragisch sich der Begriff „Verletzung“ auch anhört, ein Muskelkater ist nichts Dramatisches. Ein paar Tage mit reduziertem Aktivitätslevel und schon sind die Schmerzen wieder abgeklungen.
Muskelkater vermeiden, hinnehmen oder zumindest abschwächen?
Bleibt die Frage, ob man als sportbegeisterter Mensch einen Muskelkater einfach hinnehmen muss oder ob man ihn vermeiden oder zumindest den Verlauf abschwächen oder beschleunigen kann. Wir haben einen gefragt, der es wissen muss, Thorsten Schröer, Sportwissenschaftler an der Uni Vechta:
Training benötigt überschwellige Reize, um Anpassungsprozesse im Körper auszulösen. Diese einfache Trainingsregel gilt sowohl für das Ausdauer- als auch das Krafttraining. Aus diesem Grund glauben viele Trainierende allerdings auch, dass erst der einsetzende Muskelkater ein Zeichen für den überschwelligen Reiz und somit „gutes“ Training darstellt. Aus sportwissenschaftlicher Sicht ist das zu verneinen.
Muskelkater ist wie oben beschrieben kein Reiz mehr, sondern eine Verletzung kleinster muskulärer Elemente, die dann entstehen, wenn die einwirkende Trainingslast auf den Trainierenden zu groß war. Akzeptieren sollte man Muskelkater aus trainingswissenschaftlicher Perspektive sicher aber nicht einfach. Vielmehr ist es ein Zeichen zur Überprüfung und Reflexion der eigenen Trainingssystematik und -durchführung. Hinnehmen ist also keine Option. Ich würde es eher als Chance bezeichnen, das Training zu überprüfen und gleichzeitig seine individuelle Trainingskompetenz – auch unter Zuhilfenahme von Experten – zu stärken.
Muskelkater vermeiden – Fazit:
Die beste Vermeidungsstrategie für Muskelkater heißt „sanftes Krafttraining“ statt „Ausbelastungstraining“! Vor allem im gesundheits- und fitnessorientierten Training werden Trainingsziele durch das „sanfte Krafttraining“ ermöglicht. Neben dieser Trainingsmethode spielen die Vermeidung von exzentrischem Training oder Lastreduktion eine große Rolle bei der Trainingsplanung. Grundlegende Routinen des Erwärmens, wie z.B. Aufwärmsätze mit geringer Last, sind ebenfalls lohnenswert. Konnte trotz rücksichtsvollen Trainings der Muskelkater nicht verhindert werden, ist die Einleitung einer ausreichenden Regenerationsphase bis zum Abklingen der Beschwerden die wichtigste Maßnahme. In der Regel verschwindet der Muskelkater ohne weitere Intervention von ganz alleine. Unterstützend können vom Trainierenden Bäderanwendungen (kalt/warm), Sportmassagen durch Therapeuten oder leichtes Rekompensationstraining genutzt werden, um das subjektive Wohlbefinden zu stärken.
Häufig wird das Thema Ernährung im Kontext der Abschwächung genutzt. Die wissenschaftliche Studienlage sagt bislang hierzu, dass Nahrungsmittel mit Flavonoiden entzündungshemmende und somit mildernde Wirkung aufweisen könnten. Im Übrigen hilft Dehntraining leider nicht, wenn bereits der Schaden durch das Training entstanden ist. Trainingsplanung mit Beachtung der individuellen Voraussetzungen dagegen schon!
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