Nachgefragt bei Prof. Dr. Theodor Stemper
Was soll nur aus dieser Generation werden? Übergewichtig, unsportlich und als Jugendliche schon Altersdiabetes und Herzprobleme. Bei einem Blick in die Medienlandschaft kann einem ganz schön bange werden. Und tatsächlich, im Schwimmbad scheinen sich die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Da waren wir früher doch noch ganz anders drauf…
Sehr ausgewogene Ergebnisse
Waren wir nicht, sagt einer, der es wissen muss. Prof. Dr. Theodor Stemper hat sich mit diesem komplexen Thema über nahezu 20 Jahre wissenschaftlich auseinandergesetzt und dabei Erstaunliches festgestellt: „Obwohl wir bei unseren Untersuchungen in Düsseldorf, Hilden, Ratingen und Dormagen im sog. „Düsseldorfer Modell“ (DüMo) flächendeckend Kinder und Jugendliche alljährlich auf die Entwicklung ihrer motorischen Fähigkeiten getestet haben, lässt sich die oft dramatisch dargestellte schlechte körperliche Verfassung der Jugend wissenschaftlich nicht bestätigen.
Natürlich gibt es auch mal einen Jugendlichen mit Stoffwechselproblemen, die man eigentlich erst in der 2. Lebenshälfte erwarten würde. Aber das sind zum Glück rar gesäte Einzelfälle. Tatsächlich zeigte sich über einen Zeitraum von 15 Jahren, die Daten zu DüMo wurden zwischen 2003 und 2018 erhoben, weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung der Fertigkeiten. Zwar ging es in einem Jahr mal leicht bergab, dafür zeigte die Kurve in einem anderen Jahr wieder nach oben , ähnlich wie etwa bei guten und schwächeren Jahrgängen beim Wein. Über den kompletten Zeitraum betrachtet sieht man sehr ausgewogene Ergebnisse. Ein ähnliches Bild zeigt im Übrigen auch die groß angelegte bundesdeutschen KiGGS-Studie (Kinder-Jugend-Gesundheit) des Robert-Koch-Instituts.“
Konkrete Empfehlungen an die Ergebnisse geknüpft
Vergleiche mit Daten, die weiter in die Vergangenheit reichen, sind wissenschaftlich fragwürdig.
Die früher untersuchten Kollektive sind dafür häufig zu klein und zu spezifisch gewesen. Wenn man z. B. nur den Nachwuchs sportlicher Eltern betrachtet, lassen sich die ermittelten Daten nicht einfach auf den Rest der Bevölkerung übertragen und schon gar nicht mit breit angelegten Studien wie in Düsseldorf oder vom RKI vergleichen. Zudem waren die eingesetzten motorischen Tests und deren Durchführung nicht standardisiert.
Doch was testet man eigentlich bei Kindern und Jugendlichen, die angeblich nicht mehr in der Lage sind, rückwärts zu laufen oder Bewegungen ausführen, die komplexe koordinative Fähigkeiten voraussetzen? Ein typischer Test des motorischen Levels umfasst, z. B. in DüMo, acht Aufgaben, wie etwa einen kurzen Sprint, einen Stand-Weitsprung, einen 6-Minuten-Dauerlauf und einen Geschicklichkeit-Parkour. Die von den Kindern und Jugendlichen abgelieferten Leistungen sprechen eine deutliche Sprache. Die Leistungen sind in einer klassischen Kurve normalverteilt, also ca. 10 % sehr Leistungsschwache (Förderwürdige) und 10 % Leistungsstarke (Sporttalente), aber ca. 80 % im Normalbereich. Und bei der KiGGS-Studie antworten übrigens 94% der Eltern, dass es ihren Kindern gut bis sehr gut geht!
So ganz verwunderlich ist das nicht, wenn man sich dazu ein paar weitere Zahlen ansieht. Die zeugen nämlich davon, dass die Kinder und Jugendlichen heute sportaffiner sind als sich das bei früheren Generationen beobachten ließ. Während früher etwa 30% dieser Altersstufen in Sportvereinen aktiv war, liegt die Zahl heute bei 70%. Auch die Zahl der leistungssportlich aktiven Jugendlichen hat sich von 10% auf 30% verdreifacht.
Das Team um Prof. Dr. Stemper hat es übrigens nicht bei den Untersuchungen belassen, sondern auch konkrete Empfehlungen an die Ergebnisse geknüpft, z. B. für bestimmte Disziplinen oder zur Aufnahme eines leistungssportlichen Trainings. Dazu haben vermeintlich unsportliche Kids und Unentschlossene die Möglichkeit, bei sogenannten Schnuppertagen regelmäßig verschiedene Angebote zu testen und auszuprobieren. Und für Leistungsstarke findet jährlich in Düsseldorf eine Talentsichtung (Talentiade) statt und für alle Kinder werden Sport-Schnupperangebote organisiert, wie „Kids in Action“ oder „Olympic Adventure Camp“ (https://www.duesseldorf.de/sportamt/duesseldorfer-modell-der-bewegungs-sport-talentfoerderung.html). Dabei stellt sich der Spaß an bestimmten sportlichen Aktivitäten oft von ganz allein ein.
Fazit
Das Gefühl, dass früher alles besser war und die Jugend sowieso, hatten übrigens auch schon zahlreiche Generationen vor uns. Sokrates fürchtete schon vor 2.500 Jahren um den Fortbestand der Menschheit. Der schlechte Zustand der Jugend hatte ihn in Aufregung versetzt. 500 Jahre später forderte der griechische Philosoph Plutarch endlich Konsequenzen: „Auf ihrem Höhepunkt kennt die Jugend nur die Verschwendung, ist leidenschaftlich dem Tanze ergeben und bedarf somit wirklich eines Zügels“. Und damit ist eigentlich alles zu dem Thema gesagt …