Herzchirurg und Bestseller-Autor Umes Arunagirinathan über verhinderbare Infarkte, opferbereite Frauen und Katheter willige Ärzte
Das menschliche Herz hat gerade mal die Größe einer Faust und wiegt ungefähr 300 Gramm. Doch es ist extrem wichtig. Trotzdem behandeln wir es oft so schlecht, dass es krank wird und schlimmstenfalls sogar seine Arbeit einstellt: Von den zehn häufigsten Todesursachen in Deutschland sind fünf den Herzerkrankungen geschuldet. Warum ist das so, und was können Medizin und jeder Einzelne dagegen tun? Wir sprachen darüber mit dem Herzchirurgen Umes Arunagirinathan vom Uni-Klinikum Halle. Geboren in Sri Lanka, kam er im Alter von 13 Jahren als tamilischer Flüchtling nach Hamburg. Er studierte Medizin in Lübeck und erhielt 2008 die deutsche Staatsangehörigkeit. Sein Buch „Herzensdinge. Die erstaunlichen Leistungen unseres wichtigsten Organs – und wie wir es heilen und schützen können“ (Rowohlt, 2024) steht seit einigen Wochen auf den Bestsellerlisten.
Herr Arunagirinathan, Ihr Buch heißt „Herzensdinge“. Klar, es geht ja auch ums Herz. Aber auch, weil es darin um Dinge geht, die Ihnen am Herzen liegen?
Ja, genau. Denn ich schreibe hier nicht für die medizinische Fachwelt, sondern mit dem Anliegen, die Menschen gesünder zu machen. Sie sollen mit Informationen versorgt werden, damit sie selbst die Verantwortung für ihre Herzgesundheit übernehmen. Da besteht ja ein großes Defizit in unserem Land.
Inwiefern?
Wir haben große Fortschritte in der Diagnostik und Behandlung von Herzerkrankungen gemacht. Doch wir sollten uns nicht erst mit dem Herzen beschäftigen, wenn es bereits krank ist. Sondern schon, bevor es dazu gekommen ist. Die Patienten, die mit Herzerkrankungen zu uns kommen, sind emotional oft völlig erschüttert. Man merkt, wie nahe das ihnen geht. Klar, sie sind auch emotional total erleichtert, wenn wir ihnen helfen konnten. Doch besser wäre natürlich, sie würden selbst präventiv tätig werden und gar nicht erst erschüttert werden. Dazu müssen sie verstehen, wie wichtig das Herz eigentlich ist – und mehr Wertschätzung dafür entwickeln. Es ist ja nicht umsonst von der Natur zentral, mitten in unseren Körper gelegt worden.
Trotzdem gehen wir nicht gerade pfleglich damit um. Jährlich sterben hierzulande über 45.000 Menschen am Herzinfarkt….
Ja. Und viele Fälle wären durch eine Änderung des Lebensstils zu verhindern gewesen.
Was sind, außer den genetischen und familiären Vorbelastungen, die größten Risikofaktoren für eine Herzerkrankung?
Da wären vor allem Diabetes, Bluthochdruck, falsche Ernährung, Bewegungsmangel und Rauchen zu nennen. Aber auch Schlafdefizite und die Psyche.
Bei den psychischen Faktoren ist es in erster Linie der Stress?
Ja, wobei damit nicht nur das gemeint ist, was wir mit der Hektik und dem Zeitdruck in der Arbeitswelt verbinden. Sondern auch solche Dinge wie das Broken-Heart-Syndrom.
Das gebrochene Herz?
Ja. Es ist für mich der überzeugendste Beweis, dass Herz und Psycho besonders eng miteinander verbunden sind. Die Krankheit an sich ist zweifellos alt, aber sie ist erst vor rund 30 Jahren entdeckt und beschrieben worden. Seine Symptome – Schwierigkeiten beim Atmen, Engegefühl in der Brust, heftige Schmerzen in der Herzgegend und Todesangst – erinnern an den Herzinfarkt. Selbst das EKG kann dieselben auffälligen Kurven aufweisen. Trotzdem ist es nicht der klassische Infarkt mit seinen klassischen Ursachen.
Sondern?
Das Broken Heart ist emotional getriggert, beispielsweise, weil man gerade trauert oder einen Liebesentzug erlebt, daher auch der Name. Es kommt dabei zu einem Spasmus im Blutgefäß, was am Ende genauso zu einer Minderversorgung im Herzmuskel führen kann wie der Gefäßverschluss beim Infarkt.
Und auch so gefährlich?
Laut Studien ist die Sterblichkeit genauso hoch wie bei Herzinfarktpatienten. Nach zehn Jahren sind sowohl 20 Prozent der Herzinfarkt- als auch der Broken-Heart-Patienten verstorben. Ist also keine Bagatelle. Es kommt übrigens bei den Frauen deutlich öfter vor. Ungefähr 90 Prozent der Broken-Heart-Fälle sind weiblich und in der Regel entweder in den Wechseljahren oder bereits darüber hinaus.
Womit wird bei einem weiteren, lange vernachlässigten Thema der Kardiologie sind: dem weiblichen Infarkt. Frauen zeigen da offenbar andere Symptome als Männer….
Ja, und die werden immer wieder übersehen oder nicht als Symptome eines Herzinfarkts eingeschätzt. Bei Frauen dominiert nicht unbedingt der typische, nach links ausstrahlenden Schmerz im Brustkorb. Sie berichten dann oft auch von ganz anderen Beschwerden, wie etwa Übelkeit und Schmerzen im Oberbauch oder Rücken, sogar Nacken- und Kieferschmerzen sind möglich. Bei ihnen ist die Symptomatik des Herzinfarkts viel breiter aufgestellt.
Man hört auch davon, dass die betroffenen Frauen zu spät ins Krankenhaus gehen…
Ja, das ist in der Tat so. Frauen mit einem Herzinfarkt kommen durchschnittlich eine Stunde später ins Krankhaus als Männer. Sie bewerten ihre Symptome anders, nach dem Muster: Das wird schon. Aber die Frau ist meistens die erste, die den Notruf absetzt, wenn der Mann den Infarkt hat. Das entspricht dem gängigen Rollenmuster: Frauen sorgen eher für andere als für sich.
Die meisten Leute haben die Vorstellung, dass der Infarkt plötzlich kommt. Wie aus dem nichts. Kündigt er sich nicht an?
Das kann zwar passieren, dass er wie aus dem Nichts kommt. Doch solche Symptome wie Luftnot und Oberbauchschmerzen können auch vorkommen, wenn das Herzkranzgefäß verengt, aber noch nicht vollständig blockiert ist. Und auch wenn jemand Schmerzen im Brustkorb hat, hat er noch nicht unbedingt einen Infarkt. Aber man sollte zwecks näherer Abklärung des Problems zum Arzt gehen, wenn sich solche Symptome bemerkbar machen, sobald man sich körperlich belastet hat.
Nähere Abklärung heißt ja unter anderem: EKG, um die Herzströme zu messen. In Ruhe, oder auf dem Ergometer?
Erst in Ruhe, um das Herz nicht zusätzlich zu belasten. Wenn das unauffällig ist, kann man ein Belastungs-EKG durchführen, was schon aussagekräftiger ist. Bei den Risiko-Patienten wird auch But entnommen, um es im Labor auf bestimmte Herzenzyme zu überprüfen.
In Deutschland macht man ja auch gerne Herzuntersuchungen mit dem Katheter…
Ja, vielleicht auch ein bisschen zu gern. Bei dieser Methode wird über eine Arterie in der Leiste oder am Arm ein dünner Kunststoffschlauch bis zum Herzen geführt, wo dann ein Kontrastmittel abgegeben wird, so dass man auf dem Röntgen-Bildschirm selbst kleinere Verengungen sehen kann. Ein weiterer Vorteil des Katheters: Dass man mit ihm gleich einen Stent zur Gefäßerweiterung setzen kann, wenn es nötig ist. Das ist schon alles prinzipiell eine gute Sache. Doch in Deutschland wird das schon verdächtig oft gemacht, und es ist ja eine recht invasive Methode mit entsprechen Risiken. Doch man muss natürlich sehen: Sofern eine Praxis oder ein Krankenhaus sich die Ausstattung dafür angeschafft hat, muss sie ja ausgelastet werden, damit sie sich rentiert.
Wann wäre der Katheter denn wirklich angezeigt?
Wenn ein auffälliges Belastungs-EKG vorliegt bzw. auch die Laborwerte einen konkreten Anhaltspunkt für eine Minderversorgung des Herzmuskels oder einen Infarkt geliefert haben.
Angenommen, dabei hat sich eine Engstelle im Koronargefäß gezeigt. Kann die sich noch von alleine zurückbilden, wenn ich meinen Lebensstil ändere, beispielsweise abspecke und mich mehr bewege?
Man kann damit das Fortschreiten der Erkrankung bremsen. Aber bereits bestehende Verkalkungen an den Blutgefäßen gehen dadurch nicht weg.
Ich habe gehört, dass der Körper selbst eine Art eigenen Bypass, also ein Umgehungsgefäß um die verengte Stelle anlegen kann, und dass man diese Autokorrektur mit Sport fördern kann…
Ja, es werden tatsächlich neue Verästelungen angelegt, wenn es zu einer langsamen Verengung im Koronargefäß gekommen ist. Aber sie reichen nicht, um die Minderversorgung im Herzmuskel aufzufangen. Und Sport ist natürlich immer gut fürs Herz und die Koronargefäße. Aber man sollte ihn am besten schon machen, bevor man zum Herzpatienten geworden ist.
von Jörg Zittlau
Foto: Quelle – Asja Caspari